Adler
 
14 - Die Vollmondnacht
 

KatzenkinderDas Jagdgewehr lag schussbereit in meiner Hand. Der Vollmond beleuchtete den mit trockenen Blättern Übersäten Waldboden, während ich gespannt auf einen tollwÜtigen Fuchs wartete, der hier in der Gegend gesichtet wurde. Es fröstelte mich und ich zog meine Jacke enger um meine angespannten Schultern. Eine eigenartige Stille umgab mich. Doch sie wurde von leisem Murmeln, das an mein Ohr drang, unterbrochen.

Der Lichtstrahl einer kleinen Taschenlampe bewegte sich in einiger Entfernung suchend am Waldboden herum. „Hier ist ein guter Platz!“ verncahm ich nun eine sonore Männerstimme flüstern. Der zweite Mann liess etwas auf den Boden fallen und sagte „Gib mir den Spaten, nimm du die Schaufel!“ Gespannt schaute ich den Beiden zu. Es erschien mir wie eine Ewigkeit, bis sie einen Sack, mehr konnte ich auf diese Distanz nicht erkennen, in der gegrabenen Vertiefung versenkten. Ich wollte die Gauner zur Rede stellen, doch etwas in mir hielt mich zurÜck. Nachdem die beiden Männer die Stelle mit morschen Hölzern und Laub gut getarnt hatten, verschwanden sie so leise, wie sie gekommen waren.

Meine Neugier liess mir keine Ruhe! Ohne zu Zögern grub ich mit blossen Händen in der feuchten, aufgelockerten Erde, bis ich auf etwas Weiches stiess. Gespannt zog ich den Jutesack zu mir herauf. Der Vollmond beleuchtete einige Banknoten, die meine zitternden Finger umschlossen. "Jakob, du bist reich!" frohlockte ich innerlich. GlÜcklich legte ich den Fund Über meine rechte Schulter. Mit dem Gewehr in der anderen Hand stapfte ich zu meinem Auto zurÜck.

Vor dem Mehrfamilienhaus angekommen, wo ich mit meiner Frau Lisa eine Dreizimmerwohnung bewohnte, versteckte ich meinen neuen Besitz im Kartoffelkeller. Es tagte schon, als ich die Küche betrat. Es roch nach abgestandenem Zigarettenrauch und der Kohlsuppe von gestern Abend. Angewidert wollte ich das Weite suchen, da hatte mich meine Frau schon entdeckt. „Wo hast Du Dich die ganze Nacht wieder herumgetrieben?“ keifte sie giftig. „Du solltest Dich schämen“ zeterte sie weiter. „Aber Lisa, Du weißt doch, als Polizist habe ich manchmal einen Nachteinsatz!“ „Papperlapapp!“ antwortete Lisa, während sie ihren verwaschenen, gelben Bademantel Über das knielange Nachthemd streifte. „Und wo ist deine Uniform?“ Ohne zu antworten studierte ich die ZÜge meiner Frau. Da war kein Strahlen mehr zu erkennen in ihren blauen Augen, nur noch Ablehnung. Auch war sie mit den Jahren fett geworden. War das wirklich meine Lisa von frÜher?

Wir hatten keine Kinder; sie sass den lieben langen Tag auf dem Sofa und stopfte Knabberzeug in sich hinein. „Schatz, lass uns FrÜhstÜcken“, wollte ich sie besänftigen. Da klingelte das Telefon. „Hallo? Ah Chef! Nein der kranke Fuchs ist mir durch die Lappen gegangen. Ich versuche es heute Nacht erneut “. Lautes Wettern meines Vorgesetzten trieb mir den Angstschweiss auf die Stirne. Lisa beobachtete mich argwöhnisch.

Wie betäubt liess ich den Hörer sinken, denn mein Blick fiel auf den Flaschenhals, der unter dem Sofa hervorlugte. „Du hast wieder zu trinken begonnen, Lisa“, rief ich ungehalten. „Du bist schuld daran!“, schrie sie mich an. Erst jetzt merkte ich, wie sie lallte. „Du hast mir versprochen, nie mehr eine Flasche anzurÜhren“. Lisa kicherte dümmlich. Eilig verliess ich das Wohnzimmer, denn ich wusste, in diesem Zustand war meine Frau unberechenbar.

Meine Entscheidung, Lisa zu verlassen, stand nun endgültig fest, während ich vor dem Spiegel meine Uniform zuknöpfte. Aus dem Wohnzimmer tönte laut der Fernseher. Ich fuhr direkt in mein BÜro im Gemeindehaus unseres Dorfes. Der Raum kam mir heute noch spartanischer vor als noch vor ein paar Tagen. Das veranlasste mich, meine KÜndigung zu schreiben um sie nachher zur Post zu bringen. Ich hatte ja Zeit! Ausser einigen kleinen Gaunereien war in diesem öden Kaff sowieso nichts los. Am nächsten Morgen rief ich einen mir bekannten Anwalt an, damit er meine Scheidung in die Wege leiten konnte.

Mein Chef reagierte auf meine KÜndigung sehr ungehalten: "Herr Beer, warum sind Sie nicht eher zu mir gekommen, wir brauchen Sie doch hier! Bitte Überlegen Sie sich diesen Schritt nochmals. Auch Über eine Lohnerhöhung könnten wir verhandeln“. „Mein Entschluss steht fest, tut mir Leid. Aber trotzdem Danke fÜr das Angebot!“ erwiderte ich etwas verlegen.

Die folgenden drei Monate der KÜndigungsfrist vergingen nur schleichend. Da ich schon alle Urlaubstage bezogen hatte, musste ich bis zum letzten Tag ausharren.

Lisa regierte auf die Vorladung zum Scheidungsrichter mit Tränen, während sie den Gin schluckweise aus der Flasche trank, womit sie meinen Entschluss nur noch bestärkte!

Mit dem Koffer voller Banknoten und einer Reisetasche mit einigen Kleidern bestieg ich spät abends den Airbus A340, welcher mich mit einem Zwischenstopp in São Paulo nach Rio de Janeiro brachte. An der Copacabana mietete ich eine kleine Wohnung mit Sicht aufs Meer. In meiner alten Heimat wusste niemand, wo ich mich aufhielt; so sollte es auch bleiben.Katzenkinder

Eines Morgens stand ich auf der Plattform des Corcovado, im Schatten der riesigen Jesus-Statue und genoss staunend die atemberaubende Aussicht Über die 'Lagoa Rodrigo de Freitas', auf die Bucht von Ipanema und die Copacabana, als mich eine bildhÜbsche Frau anlächelte. Ihr pechschwarzes, in der Sonne glänzendes Haar, umrahmte ihr ovales, hellbraunes Gesicht, als sie mich ansprach. Da ich kein Portugiesisch verstand, zuckte ich entschuldigend mit den Schultern. Daraufhin nahm sie mich einfach an der Hand und fÜhrte mich in die nahe Eisdiele, wo sie beim Kellner eine Bestellung aufgab. Bald darauf standen hohe Gläser, gefÜllt mit verschieden farbigem Eis und frischen, exotischen FrÜchten vor uns.

Selbstverständlich beglich ich etwas umständlich die ganze Rechnung, da ich mich mit dem mir noch fremden Geld erst zurechtfinden musste.

Einige Tage später traf ich die Schönheit zufällig am Strand. Sie lud mich ein, neben ihr auf dem bunten Badetuch Platz zu nehmen, wobei es zu flÜchtigen BerÜhrungen kam. Wie lange war es her, seit solche GefÜhle in mir aufstiegen! „Ich bin Rosalia“, sagte die schöne Brasilianerin und tippte mit ihrem Zeigefinger auf sich. „Ich bin Pascal“ erwiderte ich geistesgegenwärtig, denn niemand sollte mich unter meinem richtigen Namen kennen.

Wir lachten viel und die junge Frau tat alles, um mir ihre Zuneigung zu zeigen. Wen wundert’s, dass sie die folgende Nacht bei mir verbrachte. Schon frÜhmorgens machte sie mir klar, dass sie nun gehen mÜsse. Ich hielt sie liebevoll zurÜck, denn ich wollte dieses bezaubernde Geschöpf immer in meiner Nähe haben.

Kaum gefrÜhstÜckt, lotste sie mich zur nächsten Bushaltestelle. Bald darauf bestiegen wir, zusammen mit mehreren einheimischen Fahrgästen, den grÜnen Bus.  Die TÜren wurden automatisch geschlossen, schon ging es zu meiner Überraschung mit Vollgas los. Gleichzeitig fuhr neben uns ein anderer Bus in die gleiche Richtung von der Haltestelle weg. Die beiden Fahrer lieferten sich offenbar ein Rennen auf der vielbefahrenen fÜnfspurigen Strasse der Millionenstadt.

Nach längerer Fahrt trat der Fahrer abrupt auf die Bremse, so wie er es bei jeder vorhergehenden Haltestelle getan hatte. Am Ziel angekommen, folgte ich Rosalia auf dem staubigen Weg durch einen Palmenhain.

Einige Meter liefen wir an schönen, modernen Häusern vorbei, doch dann verschwand Rosalia in einer der engen, verwinkelten Gassen.  Eilig rannte ich ihr hinterher, an unzähligen HÜtten vorbei, die aus verschiedensten Materialien und Abfällen zusammengeschustert wurden.Katzenkinder

Die Behausungen breiteten sich wie angeklebt am steilen Berghang aus. „Wir sind bald da!“ raunte mir Rosalia verliebt ins Ohr. Nach mehreren Richtungswechseln traten wir endlich durch die windschiefe TÜre einer vor sich hin rostenden WellblechhÜtte.

Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich eine fÜnfköpfige Familie an einem selbstgezimmerten Tisch beim Essen. Nach der kurzen BegrÜssung wurden wir eingeladen, an ihrer einfachen Mahlzeit teilzuhaben. Die Augen der Mutter waren ein stiller Vorwurf, als sie eingehend meinen Anzug betrachtete. Der Vater dagegen lachte fröhlich, wobei er seine lÜckenhaften Zahnreihen entblösste.

Rosalia setzte Kaffee auf und sprach fortwährend auf ihre Mutter ein, die mich immer noch kritisch musterte. Ich verstand natÜrlich kein Wort von dem heftigen Wortwechsel.

Da trat Rosalias Bruder, ein Muskelprotz mit vielen Tattoos an Brust und Armen, in den Raum und schwenkte dabei triumphierend eine Rumflasche. Obwohl ich sonst nie Alkohol trank, nahm ich einen tÜchtigen Schluck aus der dargebotenen Flasche.

Ich fÜhlte mich auf Wolke Sieben, als ich eine Woche später den Mietvertrag fÜr ein stattliches Haus in einem noblen Stadtteil Rio’s unterschrieb. In meiner Verliebtheit vergass ich alle Vorsicht. Zusammen mit Rosalia, die ich eigentlich noch kaum kannte, richteten wir unser neues Zuhause geschmackvoll ein. Anfangs gab sich Rosalia mit Begeisterung der täglichen Hausarbeit hin. Doch schon bald verlor sie das Interesse daran, da sie entdeckte, dass sie ihre Zeit lieber am Pool liegend und in Magazinen blätternd verbringen wollte. FÜr die Hausarbeit und das Kochen stellte ich fÜr einen angemessenen Lohn Rosalias Tante Maria ein. NatÜrlich unterstÜtzte ich Rosalias gesamte Familie, welche ausser Gelegenheitsarbeiten Über kein gesichertes Einkommen verfÜgte. Bei jedem Besuch sah ich befriedigt, wie es ihren Lieben immer besser ging.

Nach einiger Zeit des Misstrauens taute auch ihre Mutter auf und schloss mich jeweils wie einen Sohn in die Arme. Das machte mich glÜcklich, denn ich hatte endlich wieder eine Familie. So hätte es endlos weiter gehen können.

An einem Tag im Oktober brachte ich meiner Rosalia einen herrlichen Blumenstrauss mit nach Hause. Leise trat ich ein, um meine Schöne zu Überraschen. Doch was ich da sah, verschlug mir beinahe den Atem! Das Haus war bis auf einige wenige, wertlose Gegenstände vollkommen leer.

Wie von Sinnen rannte ich hinunter in den Keller. Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, den vollen Geldkoffer an einem absolut sicheren Versteck verstaut zu haben. Doch auch dieser war weg! „Rosalia“, rief ich verzweifelt, doch mein Ruf widerhallte wie zum Hohn an den kahlen Wänden. Nun war ich arm wie eine Kirchenmaus! Den Pass, den ich in einer Mauerritze versteckt hatte, war das Einzige, was mir nebst meinen Kleidern, die ich am Leibe trug, geblieben war.

Mit dem wenigen Geld, das ich noch bei mir hatte, bestieg ich den Bus zu der Favela, um Rosalia zur Rede zu stellen. Bei der HÜtte angekommen, öffnete auf mein Klopfen eine mir unbekannte Person. Schon bald stellte sich heraus, dass Rosalias Familie ihr altes Zuhause fluchtartig verlassen hatte. Kein Wunder, denn mit dem vielen Geld aus meinem Koffer konnten sie sich ein bedeutend besseres Leben leisten. Anschliessend irrte ich ziellos durch die Stadt, in der Hoffnung, von Rosalia und ihrer Familie eine Spur zu finden. Doch alle meine BemÜhungen blieben ohne Erfolg. In meiner Not suchte ich Ute und Bert, das deutsche Ehepaar, welches hier seit 30 Jahren ein gut gehendes Restaurant fÜhrte, auf. Rosalia und ich waren oft hier zu Gast gewesen, um uns mit den Köstlichkeiten ihrer KÜche verwöhnen zu lassen. Sie zeigten Erbarmen mit meiner Situation und stellten mich spontan als „Mädchen fÜr Alles“ ein. Kartoffeln schälen, Toiletten putzen, Betten machen; ich war mir fÜr Nichts zu schade, denn ich musste das Geld fÜr die Heimreise zusammen bringen!

Welche Ironie! Vor wenigen Monaten betrat ich den Boden Brasiliens als reicher Mann, und nun bestieg ich bettelarm das Flugzeug, das mKatzenkinderich zurÜck nach ZÜrich brachte!

Um einem Leben auf der Strasse zu entgehen, bewarb ich mich dort sofort bei der Stadtpolizei, um meinen erlernten Beruf wieder aufzunehmen.

Zu meinem GlÜck traf ich auf einen alten Bekannten, aus meiner Zeit in der Polizeischule, welcher mir zu meiner neuen Aufgabe als Fahnder verhalf. Meine vielfältige Arbeit in dieser weltoffenen Stadt gefiel mir sehr. Dadurch gelang es mir, in kurzer Zeit wieder Fuss zu fassen.

An einem wunderschönen FrÜhlingsmorgen lauschte ich dem Vogelgezwitscher, das durch das offene BÜrofenster drang, als ich eine irgendwie vertraute Stimme aus dem gegenÜber liegenden Vernehmungszimmer zu hören glaubte. Neugierig geworden, zog ich an der feinen Leine, um die Sichtschutzlamellen etwas anzuheben. Jäh liess ich sie wieder fallen! Was ich da erblickt hatte, veranlasste mich nervös hin und her zu gehen, um da und dort etwas gerade zu rÜcken. Tausend Gedanken hämmerten gleichzeitig in meinem Kopf.

KatzenkinderDoch plötzlich war mir klar, was zu tun war! Mit einem Pappbecher dampfenden Kaffees in der Hand, betrat ich das Zimmer nebenan, wo meine zwei Mitarbeiter eine Frau mit pechschwarzem Haar verhörten. Als mich ihre rehbraunen Augen trafen, klopfte mir das Herz bis zum Halse! „Pascal!“, rief die dunkelhäutige Schönheit und eilte glÜcklich auf mich zu. Ich fÜhlte mich unbehaglich, als ich ihr mit strenger Stimme entgegnete: „Beruhigen Sie sich, junge Dame, offenbar verwechseln Sie mich! Ich bin Kommissar Jakob Beer, bitte setzten sie sich wieder hin!“

Erregt sprach nun Rosalia auf ihre Übersetzerin ein. „Diese Frau behauptet, Sie zu kennen, Herr Beer!“ Mit einem Schulterzucken wiederholte ich, dass ich sie noch nie gesehen hätte und ich mir nicht erklären könne, was sie mit dieser Behauptung bewirken wolle. Niedergeschlagen setzte sich Rosalia wieder auf Ihren Platz zurÜck. Die weitere Vernehmung Überliess ich wieder meinen Kollegen und verliess unter einem Vorwand das Zimmer.

Beim Durchlesen des Protokolls entnahm ich, dass Rosalia, in der ZÜrcher Kantonalbank an der Bahnhofstrasse, beim Wechseln einiger Banknoten in kleinere Scheine, aufgefallen war. Wie sich herausstellte, waren zu ihrem Pech die Nummern der Geldscheine aus dem Raub von damals im Computer gespeichert worden. Rosalia wurde unverzÜglich in Gewahrsam genommen und in Untersuchungshaft gestellt.

Meine damalige Vorsicht im Umgang mit der Beute aus der Vollmondnacht hatte sich gelohnt, denn ich wurde auf keine Weise mit dem ursprÜnglichen Bankraub in Verbindung gebracht.

Rosalias Beteuerung, das Geld in einer verfallenen HÜtte am Stadtrand von Rio gefunden zu haben, konnte nicht widerlegt werden. Zudem gab es keinerlei Spuren oder Hinweise, welche die Verdächtigte mit dem einstigen Verbrechen in der Schweiz in Verbindung gebracht hätten. Nachdem das Geld von der Polizei beschlagnahmt worden war, blieb Rosalia nichts anderes Übrig, als in ihre Heimat zurÜck zu kehren.

Noch einige Tage hing der sÜsse Rosenduft des ParfÜms, welches ich damals meiner schönen Brasilianerin in meiner Verliebtheit geschenkt hatte, in den Räumen unserer Dienststelle, bevor er fÜr immer verflog, zusammen mit all meinen Träumen!